Entwicklung eines Nienstedtener Wohnquartiers

Das Gebiet zwischen Jürgensallee und Nienstedtener Straße (früher Osdorfer Straße), Langenhegen und Sophie-Rahel-Jansen-Straße (früher Mittelstraße, anschließend Georg-Bonne-Straße) wandelte sich vom Acker- und Wiesenland über Gärtnerei- und Baumschulnutzung, dann Kleingärten und Privatparks bis zu einem gehobenen Wohngebiet mit Mischnutzung. In seiner Nordhälfte ist das Quartier durchflossen vom Nienstedtener Vorfluter (heute verrohrt), der Kleinen Flottbek – verschiedentlich auch Quellentaler Bach genannt. Hier befanden sich Wiesen der Nienstedtener Bauern; im 19. Jahrhundert etablierten sich Baumschulen.

Ende des 18. Jahrhunderts wurde in Holstein die große Landreform durchgeführt. Die Flurgemeinschaften wurden aufgelöst und mit der Allmende (Gemeenheit) die Dorfgemarkung auf die Dorfbewohner neu verteilt. Die Verkoppelungskarte ist das Ergebnis dieser Vermessung und neuen Aufteilung. Unser betrachtetes modernes Wohnquartier war damals rein agrar genutzt bis auf die Südwestecke (heute HASPA) mit den Hofstellen 19 und 20 (damals Lorenz Müller und Hans Ramcke) mit Wertung je 1/10 Bauzahl. Die Bezeichnung Bauzahl entspricht andernorts dem Begriff Hufe. Nach dem zur Karte gehörenden Erdbuch sind als Eigentümer in diesem Planausschnitt außerdem genannt: „zu des Küsters Dienst (die Schule), H. J. Ladiges, J. E. de Roy, Witwe Dammann, Herr Conferenzrath Grill, Rasmus Graf senior“.

Die Flurnamen sagen etwas über die Flurbeschaffenheit aus: Langhege, Brückwisch, Lüttwisch, Nienstedtener Wisch, Ohlwisch, Heidkamp, Nittelkamp, Lehmkamp, Neukamp, Grotneukamp und Kamp beim Haus. Wisch bedeutet Wiese oder Weide, Kamp war das Feld. Vor der Verkoppelung weidete das Vieh unter Aufsicht eines Hirten frei in der Feldmark (Allmende). Die Getreidefelder waren umhegt von Dornenhecken, damit das Vieh dort nicht eindringen konnte. Die eingehegten Ackerflächen waren in schmale Streifen (Gewanne) geteilt, auf denen aber immer nur jeweils die gleiche Feldfrucht angebaut werden konnte. Die Karte des Zustandes vor der Verkoppelung Nienstedtens ist verloren gegangen.

Im Jahre 1867 wurde Schleswig-Holstein eine preußische Provinz. Die neue Regierung führte ein Kataster ein, und für die neue Grundsteuererhebung erfolgte eine Neuvermessung der Gemarkung. Der Plan von 1880 zeigt wenig Änderung gegenüber der Verkoppelungskarte. Weit außerhalb des Dorfes – oben auf Langenhegen – sind zwei Söhne der Nienstedtener Landstelle 16 (Marktplatz 9) angesiedelt worden: Christian Cords, Langenhegen 12 (Gärtnerei) und Wilhelm Cords, Langenhegen 14.

Die Jürgensallee hatte F. J. Chr. Jürgens auf seinem Baumschulengelände angelegt. Besitzerwechsel und Zusammenlegung von Parzellen waren keine bedeutende Strukturänderung. Viel Land wurde nun von Baumschulen und Gärtnereien genutzt. Die Grundsteuer-Mutterrolle nennt nun als Eigentümer: Schule Nienstedten, Johs. Roosen, F. J. Chr. Jürgens, Johs. von Ehren, J. H. Schmidt, Wilh. Timm. Wenn auch in diesem Plangebiet an der Südseite der Mittelstraße sich die Bebauung zur historischen Nienstedtener Dorfstraße verdichtete, so entwickelte sich der Weg nach Groß Flottbek als Weg zur Bahnstation zu einem periphären Geschäftsviertel (Bahnhofstraße, heute Kanzleistraße).

Preußen hatte für die Landgemeinden eine (großzügig-liberale) Bauordnung erlassen, verlangte aber von den Gemeinden amtliche Pläne mit Eintragung der Baufluchtlinien (Baugrenzen) sowie projektierter Erschließungsstraßen. So entstand der „Amtliche Übersichtsplan der Elbgemeinde Nienstedten“ von 1913, aufgestellt vom Vermessungsingenieur Vincentini. Die selbständige Landgemeinde Nienstedten im Landkreis Pinneberg war verkehrsmäßig gut an Altona und Hamburg angeschlossen und damit Ziel von wohlhabenden Städtern, sich hier anzusiedeln. Villen mit prächtigen Gärten und Parks entstanden (z.B. von Hermann Renner mit Villa am später angelegten Söbendieken und „Palomas“ der Vorwerks an der heutigen Thunstraße).

Auch die ansässige Bevölkerung zog aus der Enge der kleinen überbelegten Reetdachbauten in zeitgemäße Neubauten, Geschäftshäuser der Kleinhändler und Handwerker folgten. In unserem Plangebiet verdichtete sich de Bebauung an der Mittelstraße, der freie Blick in die ehemaligen Gärtnereien und Baumschulen wurde verschlossen. An der Jürgensallee entstanden Villen, und der Park von Kommerzienrat Renner mit Villa, Reithalle (später Kino, heute Sportschule), Stallungen, Kegelbahn und Gewächshäusern nahm das nördliche Drittel des Quartiers ein. An der Nienstedtener Straße war eine Warteschule (Kindergarten). Als künftige Erschließungsstraßen waren vorgesehen: die Verlängerung der heutigen Rupertistraße nach Osten bis zur Jürgensallee und eine Verbindung von Langenhegen nach Süden quer durch Hermann Renners Park.

40 Jahre nach dem Vincentini-Plan ist nur noch im mittleren östlichen Bereich unbebautes Gelände. Nach dem ersten Weltkrieg bestand Wohnungsnot. Die Gemeinde Nienstedten erschloss die Hermann-Renner-Straße mit Querverbindungen zur Nienstedtener Straße. Der Bauverein der Elbgemeinden (BVE) baute Einzel- und Doppelhäuser, auch einige Privatbauten entstanden. Die Kreuzung mit der Rupertistraße wurde betont durch zweigeschossige Häuser mit Walmdach. Im südwestlichen Bereich hatte Glasermeister Rudolf Schmidt einen Laden für Paper und Bilder. Auch ein Lebensmittelgeschäft (Paul Hartan) befand sich in der Rupertistraße. Die Häuser wurden größtenteils in den Jahren 1926/27 gebaut.

1927 kam Nienstedten zu Altona und hieß nun Altona-Nienstedten. 1934 entstand Söbendieken mit dem Hermann-Renner-Stieg. Die Südseite von Langenhegen erhielt seine Bebauung seit 1924 und dann verstärkt ab 1934, als der Hermann-Renner-Besitz aufgeteilt wurde – der alte Zaun ist auf einigen Grundstücken noch erhalten. Die Thunstraße (früher Matthissonstraße) war im östlichen Bereich noch in Planung. Um 1950 baute der BVE das Postgebäude und Wohnblöcke vornehmlich für Postbedienstete. Südlich der ehemaligen Warteschule (später Gemeindebüro, Bücherhalle) baute die Hamburger Sparkasse ihre Nienstedtener Filiale (heute Arztpraxis). Die Ostseite der Nienstedtener Straße bis zur Rupertistraße wurde ein Geschäftsviertel. An der Ecke Georg-Bonne-Straße/Nienstedtener Straße stand noch das alte Bauerhaus Timm. Zwischen den Grundstücken 114 und 124 wurde die Hermann-Renner-Straße an die Georg-Bonne-Straße angeschlossen. Auf diesem einstigen Ursprung der Baumschule von Ehren hatte die Gemeinde Nienstedten ihren Bauhof und die Wohnung des Landjägers (Gendarm). An der Straße siedelten sich der Architekt Heinrich Eggerstedt, der Bauunternehmer August Schütt und der Kohlenhof Vidal (gegenüber dem Schulkamp) an.

Schauen wir heute in unseren Stadtplan, wurde mittlerweile die Thunstraße zur Jürgensallee durchgeführt, an welche auch die Rupertistraße nach Osten verlängert mit einem Fußweg anschließt. Hier entstand eine zweigeschossige Wohnanlage für Bundesbedienstete. An der Georg-Bonne-Straße wich der Kohlenhof Vidal einem Wohnblock mit Lebensmittelmarkt, und an der Ecke Hermann-Renner-Straße entstand ein Wohn- und Geschäftsblock, welcher u.a. die Volksbankfiliale beherbergt. Eine Ecke weiter befindet sich die HASPA-Filiale statt des alten Bauernhauses Timm. Erwähnt werden soll noch, dass der Vorgänger des ehemaligen Postamtes an der Nienstedtener Straße im rückwärtigen Anbau des Hauses Hermann-Renner- Straße 2 c zu finden war.

(Der Heimatbote 03/2005/HC)