Nienstedten ist nicht nur ein schöner, dörflicher Stadtteil in der Kette der Hamburger Elbvororte, sondern es hat auch seine historische Bedeutung als geistlicher Mittelpunkt des Kirchspiels Nienstedten, eines der Urkirchspiele des nordelbischen Sachsengaus Stormarn. Nienstedten (vormals Nygenstede, Nigenstede, Neuenstadten) bedeutet „Neue Stätte“. Wo mag die alte Stätte gelegen haben? Diese Frage ist wohl kaum zu beantworten. Urkunden fehlen, und für Nienstedten besteht in archäologischer Hinsicht ausgesprochene Fundarmut. Die hier anstehenden Böden aus Geschiebelehm beziehungsweise Mergel konnte der vorgeschichtliche Mensch kaum bearbeiten, nordwärts in etwas leichteren Böden hat man dagegen viele Funde von Siedlungen und Grabstätten gehoben. Lag die alte Stätte vielleicht einige hundert Meter nordwestlich der jetzigen Kirche, dort, wo die Flurbezeichnung Hummelsbüttel (Gegend um die heutige Rupertistraße) überliefert ist. Oder ist sie von der Elbe infolge Sturmflutverlusten von Vorland und Abbruch des Steilufers verschlungen worden? Man spricht davon, dass die rinnsalartige Norderelbe ganz früher (also bevor der Bau des Köhlbrandes den alten Süderelbstrom abschnitt) durch einen Steg nach Finkenwerder zu überqueren war. Möglich, dass die alte Stätte die im 11. Jahrhundert von Adam von Bremen schon genannte Probstei des Erzbischofs Adalbert auf dem Sollonberg (Süllberg in Blankenese) war. Oder ist sie gar zu suchen in einem Quell-Heiligtum der alten heidnischen Sachsen, eventuell beim Nettelhof/Quellental in Klein-Flottbek oder beim Neuding in Groß-Flottbek. Für alle diese Theorien gibt es Wahrscheinlichkeiten, aber Beweise lassen sich nicht führen.
Die Einrichtung des Kirchspiels Nienstedten, zu dem außer dem Kirchdorf selbst die Dörfer Rissen, Sülldorf, Schenefeld, Blankenese, Dockenhuden, Osdorf, Lurup, Groß- und Klein- Flottbek sowie der Nordteil der Elbinsel Finkenwerder (bis in das 17./18. Jahrhundert hinein) gehörten, muss im 12. Jahrhundert erfolgt sein, obwohl die gegenwärtig erste Nennung Nienstedtens erst von 1297 stammt. Ältestes Zeugnis der kirchlichen Vergangenheit ist der jetzt in der Blankeneser Kirche aufgestellte Taufgrapen aus Bronze mit archaischer spiegelverkehrter Inschrift, der auf die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts datiert ist. Nienstedtens kirchliche Gründung ist also als Neue Stätte in der Zeit der entstehenden Kirchspielorganisation Stormarns anzusehen. Zuvor wird die geistliche Versorgung von herumwandernden Priestern der ältesten hamburgischen Marktkirche St. Petri ausgegangen sein. Bei der Kleinheit von Nienstedtens Gemarkung nimmt es nicht Wunder, dass die Landstellen nur als Katenstellen erscheinen. Ihre Besitzer fanden als Handwerker in diesem Ort zentraler Bedeutung eine berufliche Basis für ihren Lebensunterhalt. Auch die zahlreichen Gaststätten um Nienstedtens Kirche herum hatten ihre Existenzgrundlage vorwiegend durch die Kirchenbesucher.
Auszug aus Lorichs Elbkarte von 1567 (Nienstedten mittig in der linken Hälfte)
Nienstedten gehörte zur Herrschaft Pinneberg – genauer zur Kirchspielvogtei Hatzburg – und war damit Teil der Schauenburger Lande, wodurch die Reformation im Gegensatz zum übrigen Schleswig-Holstein und Hamburg offiziell erst 1561 eingeführt wurde. Durch Erbfolge nach dem Tod des letzten regierenden Schauenburger Grafen war 1460 der dänische König (übrigens seinerseits ursprünglich aus dem Hause Oldenburg) in Personalunion Herzog von Holstein geworden. Erst als wiederum diese Linie 1640 ausstarb, gelangte Holstein – mit der Landgemeinde Nienstedten – unmittelbar unter Herrschaft der dänischen Krone, blieb aber als Herzogtum Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Der dänische König wurde also deutscher Reichsfürst, Nienstedten folglich nicht dänisch, wie landläufig behauptet wird. Diese Herrschaft endete 1864 und nach einer kurzen Zeit österreichischer Verwaltung wurde Nienstedten 1867 preußisch. Der Vollständigkeit halber seien hier noch Engländer (1945), Russen (1813) und Franzosen (1806) als weitere mehr oder weniger willkommene „Besucher“ in unruhigen Zeiten und aus eher unerfreulichen Anlässen erwähnt. Die heutige Nienstedtener Kirche stammt aus dem Jahre 1751 und war bis 1896 die einzige des Kirchspiels. Von den entfernteren Dörfern war es also ein weiter Weg zur Kirche und zum Kirchhof, der Ruhestätte der Toten; einige Straßen- und Wegbezeichnungen künden noch heute davon. Im Jahre 1902 begann die Verkleinerung des alten, großen Kirchspiels durch Abtrennung des Blankeneser Sprengels, 1908 wurde Groß-Flottbek kirchlich selbständig, 1948 Lurup und 1954 Osdorf. Zu Nienstedtens alter Kirche gehören jetzt nur noch Nienstedten selbst und Klein-Flottbek.
Nienstedten um 1850
Aufgrund seiner landschaftlich schönen Lage auf dem Elbhochufer und durch die Nähe zur Stadt Hamburg sowie zu dem bedeutend jüngeren Altona war Nienstedten seit dem 17. Jahrhundert ein Platz, an dem sich städtische Bürger und Adlige Sommersitze einrichteten und Geld anlegten. So hat sich am alten Verkehrsweg auf dem Elbhochufer die Elbchaussee mit ihrer Landhauskultur entwickelt. Durch die 1867 eingeweihte Altona-Blankeneser Eisenbahn (heute die S-Bahn; das Klein-Flottbeker Bahnhofsgebäude aus der Gründungszeit ist noch erhalten) und durch die 1899 in Betrieb genommene Altona-Blankeneser Straßenbahn (Streckenverlauf Quellental, Mittelstraße heute Am Internationalen Seegerichtshof und Sophie-Rahel-Jansen-Straße, Marktplatz, Nienstedtener Straße, Hummelsbüttel heute Rupertistraße – eingestellt 1921) hatte Nienstedten eine moderne, schnelle Verkehrsanbindung an die Stadt erhalten. Die ehemals landwirtschaftlichen und durch Baumschulen genutzten Flächen boten Raum für eine stetige Bebauung mit Einzelwohnhäusern und Villen. Großbetriebe wie die 1881 gegründete Elbschlossbrauerei – erhalten sind nur noch das unter Denkmalschutz stehende Gebäude der alten Mälzerei und Teile der Fassade des damaligen Brauerei-Ausschanks – und die Straßenbahnzentrale mit Elektrizitätswerk (seinerzeit Quellental/Ecke Baumschulenweg, zeitweise Unterkunft von Volkswagen Raffay) führten zur Verdichtung der Bebauung im Ortskern und zum Ersatz baulicher Zeugnisse der dörflichen Vergangenheit durch zeittypische Bauten. Da diese Entwicklung verhältnismäßig langsam erfolgte, zeigt das Ortsbild noch heute ein liebenswertes Ensemble der baulichen Entwicklung der letzten 200 Jahre.
Noch preußisch wurde Nienstedten 1927 der Stadt Altona zugeordnet und erst 1937/38 ein Teil der Freien und Hansestadt Hamburg. Die gegenwärtigen Grenzen des Stadtteils Nienstedten verlaufen im Süden in der Mitte des Elbstroms, im Norden entlang der S-Bahn-Trasse, im Osten in der Mitte der Baron-Voght-Straße und im Westen in der Mitte der Straßen Mühlenberg und Schenefelder Landstraße. Im Westen ist mit dem Hirschpark, dem Gelände der Führungsakademie der Bundeswehr und den dazwischen liegenden Grundstücken ein Teil des alten Dockenhuden zum ursprünglichen Nienstedtener Gemeindegebiet hinzu gekommen. Im Osten ist es ein Teil Klein-Flottbeks u.a. mit dem Bahnhof, dem ehemaligen Baumschulengelände von Ehren (nunmehr Westerpark), dem Derby-Platz und dem Schiffsanleger Teufelsbrück. Abgegeben worden an Osdorf ist ein Teil im Norden, der bis knapp an den Friedensweg heranreichte. Das Gebiet der heutigen Kirchengemeinde Nienstedten befindet sich allerdings im wesentlichen noch in den alten Gemeindegrenzen (siehe rote Linie in der Karte). So ist es nicht immer ganz eindeutig, was „in Nienstedten wohnen“ heißt. Denn als drittes Kriterium kann man die Postzustellbezirke heranziehen. Aber die Nienstedten betreffenden Postleitzahlen 22609 und 22587 haben wieder andere Grenzen und nehmen keinerlei Rücksicht auf Stadtteile.